Offener Brief zum Umgang mit der Gedenkveranstaltung am 9. November und der gleichzeitigen Versammlung der „Querdenker“

Offener Brief zum Umgang mit der Gedenkveranstaltung am 9. November und der gleichzeitigen Versammlung der „Querdenker“

Jedes Jahr am 9. November gedenken wir öffentlich der Zerstörung der Freiburger Synagoge und der staatlichen Verfolgung und Ermordung der Jüdinnen und Juden während des Nationalsozialismus. Es ist neben dem 27. Januar die größte und wichtigste regelmäßige Gedenkveranstaltung an die jüdischen Opfer der Shoa auf einem öffentlichen Platz der Stadt.

Aufgrund der aktuellen Entwicklungen der Corona-Pandemie wurde in diesem Jahr die Veranstaltung abgesagt. Gleichzeitig hielt 300 Meter weiter auf dem Rathausplatz die so genannte „Querdenken“-Bewegung eine Versammlung ab. Wir sind entsetzt und wütend über die ideologische Umnutzung des öffentlichen Raums an diesem besonderen Tag und teilen mit diesem öffentlichen Brief unsere Gedanken darüber.

Die Vorgeschichte

Das Planungsteam der Gedenkveranstaltung besteht aus städtischen Vertreter_innen und der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit als Hauptveranstalterinnen sowie der jüdischen und christlichen Gemeinden und Akteur_innen aus der Zivilgesellschaft. Die Veranstaltung war angemeldet und unter Auflagen vom Amt für öffentliche Ordnung genehmigt worden. Ende Oktober gab es seitens der Stadt jedoch die Empfehlung, die Veranstaltung abzusagen. Die jüdischen Gemeinden mit Unterstützung der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen sowie die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/ VVN-BdA plädierten dafür, dennoch ein öffentliches Gedenken zu ermöglichen – unter den gebotenen strengen Auflagen des Infektionsschutzes. Wenige Tage später sagte die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit die Veranstaltung einzig in Absprache mit der Stadt, aber ohne weitere Absprache mit den Mitveranstaltenden ab und bot ein virtuelles Konzept an (BZ 4.11.2020). Am 8. November lud die israelitische Gemeinde alle Gemeinderatsmitglieder (außer der AfD) zu einem alternativen Gedenkgottesdienst ein. Nur eine einzige Gemeinderätin ist erschienen.

„Querdenker“-Mahnwache am Montag

Um 18 Uhr des 9. November versammelten sich zirka 40 Anhänger_innen der „Querdenken“-Bewegung auf dem Rathausplatz. Bekannt ist, dass rechte Gruppierungen Teil dieser Bewegung sind. In den „Querdenken“-Veranstaltungen kommt es regelmäßig zur Relativierung der Shoa und zur Verbreitung von Verschwörungserzählungen, die oft auf Antisemitismus basieren. Eine nach rechts-außen offene Versammlung an einem Gedenktag an die Verbrechen des Nationalsozialismus lesen wir als Provokation.

(siehe auch Hintergrundinformationen zum offenen Brief)

Das Ergebnis

Nur an wenigen Orten in Deutschland fand ein (offizielles) öffentliches Gedenken statt. In Freiburg gab es dafür eine „Querdenken“-Mahnwache und in Dresden sogar eine Pegida-Demonstration. Ausgerechnet in dem Jahr, in dem zehn Menschen in Hanau von einem rassistischen und antisemitischen, von Verschwörungstheorien geprägten Mann erschossen wurden. Ein Jahr nach dem rassistischen und antisemitischen Anschlag in Halle. Zwei Tage, nachdem in Leipzig 20.000 Corona-Leugner_innen und Neonazis im Schulterschluss aggressiv demonstriert haben. In einer Zeit, in der seit Monaten tausende von Menschen gemeinsam mit Reichsbürger_innen und Rechtsextremen auf den Straßen sind.

Was hätte anders laufen sollen?

Wir fragen uns, ob die Versammlung von „Querdenken“ an diesem Tag nicht hätte untersagt werden können. Dies ist möglich, „wenn der Durchführung einer Versammlung an einem symbolträchtigen Datum eine spezifische Provokationswirkung zukommt“.

Wir finden es falsch, dass die Veranstaltung von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit abgesagt wurde. Die Gedenkfeiern in Freiburg zu Halle am 8.Oktober und zu Gurs am 22.Oktober hatten gezeigt, dass es durchaus möglich ist, die Corona-Auflagen einzuhalten. Insbesondere kritisieren wir den Entscheidungsprozess der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, in dem andere Stimmen völlig übergangen wurden. Das Angebot des virtuellen Gedenkens sehen wir nicht als adäquaten Ersatz für eine Präsenzveranstaltung.

Auch wenn die Stadt in ihrer Vorbildfunktion nicht als Veranstalterin auftreten möchte, so wäre es sehr wohl möglich gewesen, sich den Vorschlägen anderer Gruppen anzuschließen und sich durch eine eigene Grußbotschaft solidarisch zu zeigen. Dann könnte man die Worte von Herrn Horn, dass er diese Erinnerung wachhalten möchte, ernst nehmen. Auch zu einer skandalösen „Querdenker“-Veranstaltung an diesem bundesweiten Gedenktag muss die Stadt Stellung beziehen!

Wir sehen die Stadt in einer besonderen Verantwortung, ein Gedenken an die Reichsprogromnacht zu organisieren. Als Kommune steht sie zumindest in der symbolischen Nachfolge der staatlichen Verfolgung. Offensichtlich war es jedoch ein Fehler, sich auf die Stadt zu verlassen.

Auch wir tragen als zivilgesellschaftliche Akteur_innen Verantwortung, Gedenken und Mahnung in den öffentlichen Raum zu tragen und hörbar zu machen. Lasst uns 2021 gemeinsam dafür sorgen!

Erstunterzeichnende:

fz* – feministisches Zentrum Freiburg,

Fantifa- Feministische Antifa Freiburg

FeLi – Feministische Linke Freiburg

VVN-Bda – Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschist*innen

Mitunterzeichnende:

Feministische Geschichtswerkstatt Freiburg e.V.

fgk – Feministisches Bündniss gegen Krieg

Realitätenwerkstatt

Liz – Linkes Zentrum Freiburg

SJD – Die Falken Ortsgruppe Freiburg

Grethergelände

unterstützt von der Israelitische Gemeinde Freiburg K. d. ö. R.

sowie unterstützt von der Egalitären Jüdischen Chawura Gescher Freiburg (Unterstützungserklärung)

 

 

Hintergrundinformationen zum offenen Brief zum Umgang mit der Gedenkveranstaltung am 9. November und der gleichzeitigen Versammlung der „Querdenker“

Die Absage im Alleingang

Im Planungsteam der Gedenkveranstaltung wurde Ende September bereits beschlossen, die Gedenkveranstaltung „Corona-konform“ so kurz wie möglich zu halten. Ein Tag vor der dringenden Empfehlung der Stadt, die Veranstaltung abzusagen, wurden von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit die Auflagen detailgenau kommuniziert. Das Team war vorbereitet.

Nach der Absage plädierten mehrere Gruppen in ausführlichen Schreiben an den OB Horn, die Stadt und die Gesellschaft nochmals für die Durchführung der Veranstaltung. Unter anderem wies darin Frau Katz von der israelitischen Gemeinde vorausschauend auf das Szenarium hin, das dann in ähnlicher Form eintrat:

„Es wäre für uns ein unerträglicher Gedanke, wenn ausgerechnet am 9. November Rechtsradikale den Platz der Alten Synagoge für eine Demonstration nutzen würden. Wir befürchten, dass eine derartige Demonstration nicht verboten werden kann, weil die Stadt Freiburg in der Vergangenheit verhindert hat, dass der Synagogenbrunnen als Gedenkstätte im Sinne des Versammlungsgesetzes geschützt wird.“

Die Argumente wurden sämtlich inhaltlich ignoriert. Die Stadt wies immer wieder auf ihre sogenannte Vorbildfunktion hin, soziale Kontakte zu reduzieren.

Die Vorbildfunktion der Stadt

Am Freitag, 13. November fand eine Demonstration Freier Kulturschaffender mit mehreren Hundert Teilnehmer_innen auf dem Platz der alten Synagoge statt. Hierfür warb u.a. Bürgermeister Stefan Breiter (Dezernat IV) auf seiner Facebook-Seite. Auch die Gemeinderatssitzung am 10.11. fand in quasi voller Besetzung und mit Publikum statt. Beides finden wir legitim. Dennoch ist es unverständlich, warum die Gedenkfeier ausfallen musste.

Das virtuelle Gedenken – eine Alternative?

Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit bot den Beteiligten an, Reden und Stellungnahmen auf ihre Homepage zu stellen. Wer war schon mal auf der Homepage der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit? Wenn das Gedenken virtuell stattfinden soll, dann müssen dafür Ressourcen eingesetzt werden: technische Assistenz bei der Produktion von Videos, Verbreitung auf der Homepage der Stadt, Liveübertragung einer Gedenkrede (wie z.B. in München oder Wiesbaden) und in Zusammenarbeit mit den lokalen Medien.

Die „Querdenken-„Bewegung in Freiburg

Auch in Freiburg sind rechte Gruppen fester Bestandteil der „Querdenken“-Bewegung. AfD-Mitglieder nehmen an den Versammlungen teil sowie Personen mit eindeutig rechten Symbolen auf Kleidung und Tätowierungen. Menschen aus anderen, eher öko-esoterischen Milieus haben sich bisher nicht von den rechten Teilnehmer_innen abgegrenzt.

Auf den Freiburger Demos sind QAnon Symbole zu sehen (antisemitische Verschwörungserzählung aus den USA). Es ist die Rede von „Impfholocaust“, es wurden Masken mit einem nachempfundenen Judenstern mit der Aufschrift „ungeimpft“ getragen, es werden Verschwörungen über die jüdische Bankiersfamilie Rothschild im Zusammenhang mit Covid-19 verbreitet etc. etc.

In den beiden Telegramgruppen „Querdenken (761 – Freiburg)“ und „Frei Sein Freiburg“ werden u.a. Reichsbürgerthesen verbreitet.

Bisher haben die „Querdenker“ jeden Samstag demonstriert. Seit November halten sie außerdem jeden Montag um 18:00 ein „Mahnwache“ ab.

Bisher hat sich Oberbürgermeister Horn nicht zu dieser Bewegung in Freiburg geäußert.